Physiknobelpreis 1962: Lew Davidowitsch Landau

Physiknobelpreis 1962: Lew Davidowitsch Landau
Physiknobelpreis 1962: Lew Davidowitsch Landau
 
Nobelpreis für seine bahnbrechenden Theorien der kondensierten Materie, insbesondere des flüssigen Heliums.
 
 
Lew Davidowitsch Landau, * Baku 22. 1. 1908, ✝ Moskau 1. 4. 1968; 1932-36 Leiter der theoretischen Abteilung des Ukrainischen Physikalisch-Technischen Instituts in Charkow, 1937-62 Leiter der theoretischen Abteilung des Moskauer Instituts für physikalische Probleme; Beiträge zur Erklärung von Dia- und Ferromagnetismus, Erarbeitung einer Theorie der Quantenflüssigkeit, Erklärung der Suprafluidität von Helium.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Landaus naturwissenschaftliche Begabung zeigte sich schon sehr früh. Im Alter von 14 Jahren begann er an der Universität Baku Physik und Chemie zu studieren, mit 19 Jahren promovierte er an der Leningrader Universität.
 
Nachdem er schon früh auch im Ausland auf sich aufmerksam machen konnte, wurde er von vielen seiner Kollegen als scharfer Analytiker und brillanter Theoretiker geschätzt. Sogar Albert Einstein (Nobelpreis 1921) musste sich 1931 bei einem Vortrag vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft von dem jungen Russen korrigieren lassen.
 
 Dia- und Ferromagnetismus
 
Mit Rudolf Peierls, einem Assistenten Wolfgang Paulis (Nobelpreis 1945), veröffentlichte Landau 1931 eine Arbeit, mit der die beiden Forscher versuchten, die Heisenberg'sche Unschärferelation relativistisch zu verallgemeinern, indem sie auch die Messbarkeit elektromagnetischer Feldgrößen prinzipiell in Zweifel zogen. Seine erste bedeutende wissenschaftliche Arbeit leistete er mit einer Theorie des Diamagnetismus des Elektronengases. Nach der klassischen Mechanik kann eine Bewegungsänderung freier Elektronen in einem Magnetfeld nicht zu neuen magnetischen Eigenschaften des Systems führen. Landau wies jedoch darauf hin, dass die Quantisierung zum Auftreten eines Diamagnetismus des freien Elektronengases führt (Landau-Diamagnetismus). In seinen Untersuchungen zur Theorie des Ferromagnetismus sagte er das Phänomen der ferromagnetischen Resonanz voraus und zeigte, dass eine quantitative Beschreibung der Elementarmagnete auf thermodynamischen Betrachtungen aufbauen muss.
 
Neben seiner Forschung schrieb er populäre Bücher und arbeitete zusammen mit seinem Kollegen Jewgenij Lifschitz an der Herausgabe eines zehnbändigen »Lehrbuchs der theoretischen Physik«, das ein Standardwerk wurde.
 
Von seinen Kollegen und Studenten, die sich in seiner berühmten »Schule« um ihn sammelten, ließ er sich »Dau« nennen und erklärte, dass es eine Höflichkeit sei, seinen Namen abzukürzen, weil er sonst französisch ähnlich wie »L'âne Dau« (»Daus Esel«) klingen würde. Fachlich konnte er sehr hart sein. Besonders seine Prüfungen waren gefürchtet. An die Tür seines Arbeitszimmers hatte er unter seinen Namen geschrieben: »Vorsicht, bissig!«
 
Mit seinen unkonventionellen Lehrmethoden und Umstrukturierungen in der Physikausbildung hatte sich Landau nicht nur Freunde gemacht. Im Dezember 1936 wurde er wegen »Verbreitung idealistischer Ansichten« von seiner Lehrtätigkeit suspendiert. Pjotr Kapiza (Nobelpreis 1978) bot ihm daraufhin eine Stelle an seinem neuen Moskauer Institut für physikalische Probleme an. Dort übernahm er im Frühjahr 1937 die Leitung der theoretischen Abteilung.
 
 Landau im stalinistischen Russland
 
Landau war begeistert von den Idealen der Revolution. Aber gerade weil er leidenschaftlich an die propagierten Grundideen der neuen Gesellschaftsordnung in Russland glaubte, nahm er die zunehmende Diskrepanz zwischen dem staatlichen Dogmatismus und den verführerischen revolutionären Verheißungen in besonderer Weise wahr. Doch solche Gedanken in der damaligen Zeit zu äußern war gefährlich, denn auch die Physiker blieben nicht vom Massenterror Stalins verschont.
 
Im Jahr 1938 war der Höhepunkt der stalinistischen Repression. Denunziationen und willkürliche Verhaftungen waren an der Tagesordnung. Tausende Unschuldiger wurden erschossen oder zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt. Es herrschte ein Klima der Angst. In dieser Zeit verfasste Landau ein Flugblatt, in dem er zum Sturz Stalins aufrief. Er wurde vom »Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten« inhaftiert und wochenlang verhört. Unter Androhung von Schlägen musste er stundenlang in grellem Scheinwerferlicht stehen, ohne sich rühren zu dürfen. In Briefen verwandte sich Kapiza bei Jossif Stalin und Wjatscheslaw Molotow für Landau. Es gelang ihm, sie davon zu überzeugen, dass kein anderer als Landau in der Lage sei, eine neue Entdeckung »auf dem rätselhaftesten Gebiet der modernen Physik« zu erklären. Völlig abgemagert wurde Landau nach einjähriger Haft gegen die persönliche Bürgschaft Kapizas freigelassen.
 
 Eine Theorie der kondensierten Materie
 
Tatsächlich gelang ihm schon bald darauf die theoretische Erklärung der von Kapiza entdeckten Suprafluidität von Helium. Unterhalb der kritischen Temperatur von 2,18 Kelvin (-270,98 Grad Celsius) besitzt flüssiges Helium (He4) eine Reihe völlig anomaler Eigenschaften. Seine Wärmeleitfähigkeit ist sehr hoch und seine innere Reibung unmessbar klein. Es kriecht Behälterwände hoch und kann regelrechte Springbrunnen bilden. Landau fasste das supraflüssige Helium als ein Quasikontinuum auf, dessen angeregte Zustände quantisiert sind. Die Gesamtheit der angeregten Zustände sah er als eine Mischung aus Phononen (Schallquanten) und von ihm postulierten so genannten Rotonen. Solche quantisierten Wirbel wurden mittlerweile nachgewiesen.
 
In einer Arbeit aus dem Jahr 1937 über die Theorie der Supraleitfähigkeit hatte er gezeigt, dass der von Peierls eingeführte Begriff des Zwischenzustands in Wirklichkeit kein neuer Zustand ist, sondern dass der Supraleiter aus aufeinander folgenden dünnen Schichten der normalleitenden und der supraleitenden Phase besteht. Zusammen mit seinem Studenten Witalij Ginsburg entwickelte er 1950 eine phänomenologische Theorie der Supraleitung, die in der Folge zur Grundlage einer Theorie der supraleitenden Legierungen wurde. Mithilfe der Landau-Ginsburg-Theorie lassen sich aber auch universelle Phänomene der Symmetriebrechung, die in der Kosmologie und Teilchenphysik eine fundamentale Rolle spielen, einfach beschreiben. 1956 erweiterte Landau seine Theorie der Quantenflüssigkeit auch auf das seltene Heliumisotop He3, das, aber erst bei einer Temperatur von unter 0,001 Kelvin, ebenfalls Suprafluidität zeigt. Landau beschrieb und erklärte dessen Energiespektrum und thermodynamische Eigenschaften.
 
Den 1962 verliehenen Nobelpreis konnte Landau nicht mehr persönlich entgegennehmen. Wenige Monate zuvor hatte er sich bei einem Verkehrsunfall schwere Hirnverletzungen zugezogen und lag wochenlang im Koma. Zwar gelang es den Ärzten, sein Leben zu retten, doch war er nicht mehr in der Lage wissenschaftlich, zu arbeiten. Der bedeutendste Physiker Russlands starb am 1. April 1968 an den Spätfolgen seines Unfalls.
 
M. Schaaf

Universal-Lexikon. 2012.

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